"Wer sich selbst kennt, kann besser auf andere eingehen"
Ralf China im Interview anlässlich des 40-jähringen STRUCTOGRAM-Jubiläums
von Claus Peter Müller-von der Grün
Ralf China im Interview anlässlich des 40-jähringen STRUCTOGRAM-Jubiläums
von Claus Peter Müller-von der Grün
KASSEL. Wo Menschen zusammenkommen, da menschele es, sagt Ralf China. Es eröffneten sich zahlreiche Möglichkeiten für Missverständnisse, die nicht fachlich-sachlicher Art seien, sondern sich einnisteten, weil der eine den anderen für arrogant, zu laut oder für zu redselig halte. „Entscheidend ist nämlich nicht, welche Signale der Sender sendet, sondern was der Empfänger empfängt“, sagt Ralf China. Mit dem Structogram gebe es eine Möglichkeit, sich selbst und andere besser zu verstehen, um besser auf andere Menschen eingehen zu können
Bereits während seines Studiums an der Universität begann sich der Diplom Ökonom Ralf China mit Methoden der empirischen Sozialforschung und mit Qualitätsmanagement zu befassen. Nach seinem Abschluss arbeitete er als Projektleiter einer Forschungsgruppe mit Schwerpunkt auf der Analyse des Engagements der Mitarbeiter und der Zufriedenheit der Kunden. „Je nach Ergebnis empfahlen wir dem Unternehmen oft eine bestimmte Schulung seiner Mitarbeiter nach dem Motto: Die ideale Kundenberatung sieht so aus!“, erinnert sich Ralf China. Bei einigen, sagt er, funktionierte es, bei anderen nicht.
Der Ökonom spezialisierte sich daraufhin als Berater auf das Lern-Prozess-Design und die Verbesserung von Aus- und Wei- terbildungsprozessen und beriet - neben anderen - die R+V-Versicherung. Er stellte fest, dass sachlich-fachliche Zusammenhänge ebenso wie prozessuale Abläufe den Mitarbeitern zwar gut zu vermitteln waren. Das gute Gefühl aber beim Kunden hervorzurufen, dass es dem Kunden erlaubt, sich gegenüber seinem Berater zu öffnen, ihm seine Sorgen und Hoffnungen zu schildern und am Ende das Vertrauen zu entwickeln, vom Berater eine Lösung zu kaufen, das gelang nicht allen Kundenberatern. „Einige Berater konnten die zwischenmenschliche Komponente herstellen, die anderen nicht. Die guten waren aber nicht zu clonen.“ Das schien eine unlösbare Herausforderung zu sein.
„In dieser Verfassung“, sagt Ralf China, traf er auf Structogram. Ein potentieller Kunde, den er gerne gewinnen wollte, erklärte ihm: „Wir trainieren nur mit Structogram.“ Ralf China kannte die Methode nicht, aber indem er sich damit befasste, fand er die Antwort auf die Frage, „wie gestalten wir die menschliche Komponente?“ im Beratungs- und Verkaufsgespräch. Statt Hard- oder Love-Selling zu predigen, Menschen mit Unwahrheiten wie jener zu traktieren, dass nämlich der Erfolg nur eine Frage des Willens sei, bot das Structogram-Trainingssystem, eine Möglichkeit, die Ralf China gleichermaßen fundiert wie anwendbar schien. Denn wen und was suche sich ein Kunde aus, fragte sich der Trainer: „Den Berater und das Produkt, bei denen er sich am wohlsten fühlt natürlich.“ Mit dem Structogram-Training helfe er den Rat- suchenden, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kunde und Berater herzustellen.
Dem Structogram-Training liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich das menschliche Gehirn in drei Phasen der langen Evolution von den Urwesen über die Säuger bis zum heutigen Menschen entwickelt hat und heute ein „drei-einiges Gehirn“ bildet. Aus jeder Phase überlebten bestimmte Grund- eigenarten, die nun dem einzelnen Menschen – sozusagen von Natur aus – einen Rahmen setzten, innerhalb dessen er das gute Gefühl habe, er selbst zu sein. „Diese drei Komponenten kommen niemals in Reinform vor“, sagt Ralf China. Es gebe Menschen, bei denen dominiere eine Veranlagung, bei anderen herrschten zwei Veranlagungen ähnlich stark vor, und es gebe Menschen, bei denen alle drei Veran- lagungen ähnlich stark ausgebildet seien. Erst das individuelle Zusammenspiel aller drei Komponenten ergebe „eine Art genetischen Fingerabdruck unserer Persönlichkeit“.
Mit Hilfe eines Fragenkatalogs, den der deutsche Anthropologe Rolf W. Schirm entwickelt und letztlich als Berater der Volkswagen AG in der Arbeit mit tausenden von Mitarbeitern optimiert hat, kann der einzelne unter der Anleitung eines Trainers erkennen, wie diese drei Komponenten in seinem persönlichen Structogram zusammenspielen und welche vielleicht dominieren. Ist er ein häufig als sympathisch empfundener Beziehungsmensch? Ist er dynamisch und drängt auf Entscheidungen? Oder trifft er Entscheidungen nach einer Phase der Orientierung und der nüchternen Abwägung? Oder ist er eine Mischung dieser Eigenarten, die ihn kennzeichnet?
Aller Erfahrung nach, berichtet Ralf China, verstehen sich Menschen mit einer ähnlichen Biostruktur am besten, denn sie ähneln sich und „kennen einander“ daher womöglich sogar spontan. Je mehr aber die Eigenarten der Menschen voneinander abwichen, desto wahrscheinlicher seien Missverständnisse. Daher geht es im Structogram-Training für Ralf China zunächst darum, die Selbstkenntnis zu vermitteln, welche Komponente den einzelnen am stärksten kennzeichne. „Es geht darum, zunächst die eigenen Eigenarten zu erkennen, sie hinzunehmen und sie vor allem zu akzeptieren. Keiner kann aus seiner Haut, und jeder sollte authentisch sein, denn nur dann ist er gut“, sagt Ralf China. Wer einmal die Structogram-Analyse an sich vollzogen habe, finde mit Hilfe eines weiteren Trainings auch Hinweise darauf, andere Menschen besser einzuschätzen. „Wenn ich aber weiß, wie ich bin und auf andere wirke, und wenn ich dann noch abschätzen kann, was der andere für ein Mensch ist, dann kann ich zunächst alles weglassen oder zurücknehmen, was auf den anderen unsympathisch wirkt“, sagt Ralf China. So könne es beispielsweise in einem größeren Team von Beratern oder Verkäufern Wunder wirken, wenn die Kunden je nach ihrer Biostruktur dem passenden Berater zugeordnet werden.
Menschen mit einer grünen Dominanz, schildert Ralf China bewusst schematisierend und vereinfachend einige Erfahrungen aus dem Alltag, mögen sich untereinander und sind auch Personen mit einer anderen Biostruktur häufig spontan sympathisch. Menschen mit einer starken Ausprägung im Bereich „Rot“ oder „Blau“ streben beide nach Entscheidungen, aber auf ganz unterschiedliche Weise. Der Blau-Dominante ist nachdenklich, stellt eine Entscheidung zurück, wenn er sich nicht sicher ist, wirkt zögernd. Der Rot-Dominante will sofort entscheiden, und sagt sich: Ich lerne jeden Tag hinzu. „Rot findet viele blaue Eigenarten nicht sympathisch, und Blau findet viele rote Eigenarten nicht sympathisch“, berichtet Ralf China. Auch komme es vor, dass sich Rot-Dominante untereinander nicht mögen, da beide direkt sind, dominant im Auftritt und so wirken, als seien sie vor allem auf ihren Vorteil bedacht.
„Wer das erst einmal durchschaut hat, der zieht seine Lehren daraus“, sagt Ralf China und erzählt von einem ungeduldig-dynamischen Verkäufer, der seinen rational-nachdenklichen Kunden gerne einen USB- Stick mit allen möglichen Detailinformationen zum Produkt aushändigt, damit sie sich tagelang darin vertiefen können. Zum Folgetermin bringt er womöglich einen „blauen“ Fachmann mit, der mit dem „blauen“ Kunden die perfekte Lösung austüftelt. Ein stark rationaler Finanzberater hat dagegen begriffen, dass ein bestimmter „grüner“ Kunde erst einmal ausführlich über „Gott und die Welt“ reden möchte und viel Wert auf persönliche Sympathie legt, wogegen Kunden aus dem rot/blauen-Bereich ein konkretes Angebot mit klaren Vorteilen erwarten. Zu „blaue“ Angebote wiederum, wie ausführliche Hinweise auf die Sicherheitstechnik eines Autos und dessen Sparsamkeit, treiben einen „roten“ Kunden im Verkaufsgespräch zur Weißglut.
Obwohl solche Umsetzungserfolge direkt erleb- und beobachtbar sind, sei der Erfolg eines solchen Trainings, räumt Ralf China ein, nur schwer zu messen. Wenn sich ein Erfolg nach einem Training einstelle, sei es, dass der Umsatz oder die Kundenzufriedenheit steige, dann könne das freilich am Training liegen. Es sei aber auch möglich, dass die Mitarbeiter allein das Training, unabhängig von seiner Qualität, als motivierendes Zeichen empfunden haben: „Hurra, es interessiert sich endlich jemand für uns im Unternehmen!“. Schließlich könnten auch externe Faktoren eine Rolle spielen, wenn etwa der unmittelbare Wettbewerber die Preise gesenkt oder erhöht habe. Trotz dieser Relativierung verweist Ralf China auf einen großen Automobilhersteller. Einige seiner Händler hatten die Mitarbeiter des Teile- und Zubehörhandels mit Hilfe von Structogram trainieren lassen. Nach dem Training stieg die Zufriedenheit der Kunden bei den trainierten Händlern um etwa 33 Prozent von 62 auf 95 Punkte von 100, bei den Kunden jener Händler, die nicht am Training teilgenommen hatten, stieg die Zufriedenheit zwar auch, aber nur von 62 auf 72 Punkte.
Eine Herausforderung der Zukunft sieht Ralf China im Training der Führungskräfte. Es heiße, Führen ist wie Verkaufen, nur schwieriger. „Es genügt nicht mehr, als Chef qua Funktion Recht zu haben“, sagt Ralf China, „oder eine Ansage einfach durchzusetzen.“ Weder seien alle Chefs, noch seien alle Mitarbeiter gleich. Um Missverständnisse mit allen kräftezehrenden und kostenintensiven Folgen zu verhindern, wäre es besser, auch die Chefs würden einmal „durch die Structogram- Brille“ auf die Mitarbeiter schauen. Zunächst sich selbst und dann den anderen zu erkennen, sei wie das Lernen einer Fremdsprache. Diese dann auch zu beherrschen und zu sprechen, erleichtere wiederum die Kommunikation mit anderen ungemein, wenn das Gegenüber die fremde und nicht die eigene Sprache spreche.